Beim Unternehmerfrühstück des DTI kamen neben Spezialitäten auch harte Fakten zum Fachkräftemangel auf den Tisch: Was tun, wenn man Arbeit ohne Ende hat, aber keine Leute – und alle Influencer sein wollen?
Dokumentiert:
von Waltraud Kirsch-Mayer Freie Autorin Mannheimer Morgen
Mannheim. Wenn Jugendliche nach ihrem Traumjob befragt werden, taucht neuerdings ein Beruf auf, der eigentlich gar keiner ist – Influencer oder Influencerin. Dieses Phänomen blitzt auch beim Unternehmerfrühstück auf, zu dem das Deutsch-Türkische Institut (DTI) für Arbeit und Bildung in Räumlichkeiten des TSV 1846 eingeladen hat. „Arbeit ohne Ende – aber keine Leute“ lautet nicht von ungefähr das Motto. Sorgen bereiten besonders im Handwerk, aber auch im Handel und in der Industrie sogenannte Engpassberufe mit massiven Nachwuchsproblemen.
„Was kann ich, was liegt mir?“
Um so wichtiger, dass Vertreter und Vertreterinnen von Unternehmen, Berufsorganisationen, Schulen sowie Arbeitsagentur und Politik ins Gespräch kommen. Und dies gelingt besonders gut bei türkischem Tee und außerdem mit Spezialitäten wie gefüllten Weinblättern und leckerem Börek auf dem Teller. Nicht nur das Frühstücksbuffet erweist sich als vielfältig, auch das Informationsprogramm, durch das Herbert Dechant vom DTI-Vorstand führt. Den Reigen der Redner eröffnet der Vorzeige-Macher Mustafa Baklan, der das Lebensmittelimperium Suntat aufgebaut und den Verband türkischer Unternehmer Rhein-Neckar gegründet hat. Seine Botschaft: Zur Berufswahl gehöre die Erkundung nach innen (Was kann ich, was liegt mir?) wie das Prüfen realer Möglichkeiten. Und dabei müssten junge Menschen intensiv unterstützt werden.
Dass deutschlandweit jede fünfte Ausbildungsstelle unbesetzt bleibt, sieht Franz Egle, geschäftsführender Vorstand des DTI , als „Alarmsignal“, das zum Handeln herausfordere – „konzertierte Aktion“ , in der es auch Eltern einzubeziehen gelte. Denn Familien hätten großen Anteil daran, welche Berufswege als mehr oder weniger attraktiv empfunden werden. Gefragt seien neue Konzepte. „Auch wir beschäftigen uns inzwischen mit TikTok.“
Grußwort von Generalkonsulin Banu Terzioglu
Wie neue Wege aussehen können, erläutert Hendrik Tzschaschel, Rektor der Marie-Curie-Realschule in der Neckarstadt-West, die sich ganz bewusst als „Kulturschule“ versteht und dabei auch Wert auf berufliche Orientierung legt – mit einer Zukunftswerkstatt in den Klassen 5 und 6. Und sein Rektorkollege Christian Löffler von der Friedrich-List-Schule betont die Bedeutung gut vor – wie nachbereiteter Berufspraktika, bei denen Jugendliche erfahren, dass nach einer Lehre noch vieles folgen kann: beispielsweise die Meisterprüfung, auch als Türöffner zur Selbstständigkeit. Wie wichtig es ist, im Dschungel beruflicher Möglichkeiten mehr Orientierungshilfe zu geben, betont die türkische Generallkonsulin Banu Terzioglu in ihrem Grußwort.
OB-Kandidierende stellen sich Fragen
Als besondere Attraktion bietet das Unternehmerfrühstück eine Fragerunde mit den Kandidierenden um das Oberbürgermeisteramt. Moderator Karsten Kammholz, Chefredakteur des „Mannheimer Morgen“, spricht von einem „historischen Moment“ im aktuellen OB-Wahlkampf – schließlich haben sich Thorsten Riehle (SPD), Christian Specht (CDU), Raymond Fojkar (Grüne) und Isabell Belser (Linke) das erste Mal gemeinsam auf einem Podium versammelt. Und für was wollen sich die Vier ausbildungspolitisch einsetzen, wenn tatsächlich der Rathaus-Chefsessel erobert wird, erkundigt sich Kammholz.
Der Kinderpsychiater Fojkar bringt den „Praktischen Bachelor“ ins Spiel, weil solche Abschlüsse signalisieren könnten , dass auch nicht-akademische Berufe karrierefähig sind: „Ohnehin bin ich überzeugt, dass manch ein Stundensatz eines Handwerksmeisters schon heute höher liegt als meiner – und das finde ich gut“. Riehle will sich dafür einsetzen, dass auch in schwierigen Wohngebieten „kein Kind verloren geht“ – denn ohne Bildung keine Berufschancen „Es gibt viele Angebote, aber die müssen transparenter gemacht werden“, findet Specht, der mehr für Berufsschulen tun möchte. Und Belser wünscht sich für Jugendliche mit Förderbedarf gezieltere Unterstützung, sowohl in der Schule wie später in der Berufsausbildung.
Manche Berufe sind gar nicht bekannt
Nach der Politrunde haben Berufsbildungs-Profis das Wort. Von Thomas Schulz, Chef der Agentur für Arbeit, Oliver Hambel, Ausbildungsberater der Handwerkskammer, und Jürgen Mohrhardt, Leiter des IHK-Bereiches gewerbliche Berufsausbildung, will Moderator Kammholz wissen, ob es immer noch einen Unterschied macht, wie ein Bewerber heißt – Lukas oder Mustafa. Einhellige Meinung: Das spiele inzwischen kaum noch eine Rolle – zumal ausbildungswillige junge Menschen händeringend gesucht werden. Vielmehr wird als Problem gesehen, dass so manche Berufe jenseits der „Top Ten“ gar nicht bekannt sind. Zum Abschluss erläutert Yvonne Wenzel, Geschäftsführerin von Haas Media, welche Kommunikationsmöglichkeiten es gibt, junge Menschen und passende Ausbildungsstellen zusammenzubringen. Man muss ja das Feld nicht Influencern überlassen.
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Quelle: Mannheimer Morgen vom 20.03.2023